Auf dem Weg zur Teal Organization 1/4: Ein Reisebericht

Diesen Artikel gibt es auch auf Englisch.

Dieses Jahr feiern wir das 10-jährige Bestehen unseres Unternehmens. Es ist für mich ein kleines Wunder, dass wir schon so lange unterwegs sind, nach allen Höhen und Tiefen, die wohl jedes junge Unternehmen durchmacht. In diesem Artikel beschreibe ich unsere Geschichte in Anlehnung an die Theorie der "Teal Organization" von Frederic Laloux.

Inhalt:

  1. Die Entwicklung von Organisationen
  2. Teal: Die Organisation von Lebewesen

Ich reise gerne und die Umstellung auf Remote Work vor fünf Jahren hat es mir ermöglicht, meinem Entdeckerdrang auch zu folgen. Ich betrachte den Entwicklungsverlauf des Unternehmens gerne als Reise.

So wie ich mich als Mensch auf einer Reise in fernen Ländern ständig anpasse und selbst reflektiere, so entwickelt sich auch eine Organisation im Geschäftsalltag immer weiter, wächst und lernt Neues. Das Unternehmen ist wie ein Lebewesen, das sich in der Welt bewegt und sich auf eine Reise begibt. Das Lebewesen als Metapher für Organisationen wird in der Theorie der "Teal Organization" von Frederic Laloux beschrieben.

Teal, zu Deutsch die Farbe Petrol, beschreibt eine Stufe menschlicher Entwicklung. Wir entwickeln uns als Menschheit in Sprüngen und auf jeder Stufe gibt es Durchbrüche in allen Bereichen, von der Technologie bis hin zur menschlichen Zusammenarbeit.

Der Philosoph Ken Wilber beschreibt diese Stufen in der Integraltheorie und gibt jeder Stufe eine Farbe. Frederic Laloux wendet diese Theorie auf das Management und die menschliche Zusammenarbeit an und beschreibt damit den Umbruch, den wir heute schon bei vielen Organisationen beobachten können.

1.1 Orange: Die Organisation als Maschine

Im Verlauf unserer Firmengeschichte haben wir Höhen und Tiefen erlebt. Nach der Gründung in 2010 und den ersten Monaten erfolgreicher Zusammenarbeit zwischen meinem Bruder Claudius als Softwareentwickler und mir als Designer fanden wir schon bald Mitarbeiter*innen, die uns auf unserer Reise begleiten wollten.

Mit den ersten Mitarbeitenden waren wir schon bald mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Wie wollen wir uns organisieren? Wer trifft welche Entscheidungen? Und wer kümmert sich um die ganzen Themen wie HR, Marketing oder Sales, die zunehmend wichtiger werden? Es braucht Organisationsstruktur und Führungsfähigkeiten, die ich in den Jahren zuvor als selbständiger Designer bislang nicht erworben hatte. Ich war neugierig, wollte lernen und sah mich nach Management-Literatur um.

In der herkömmlichen Literatur werden Unternehmen oft als Maschine verstanden. Es braucht klare Prozesse und jeder im Team hat eine gewisse Funktion zu erfüllen. Frederic Laloux beschreibt dies mit der orangenen Stufe, die aus der modernen, leistungsorientierten Weltsicht entsteht. Ich als Führungskraft trage die Verantwortung, alles zu koordinieren, und wenn etwas schief läuft, muss ich die Maschine reparieren.

Das mit den Prozessen ist schon in Ordnung. Ich habe es gerne, wenn Prozesse klar definiert sind. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Was für mich allerdings überhaupt nicht funktioniert hat, war die Idee, dass wir als Geschäftsführer das Unternehmen alleine leiten mussten und wenn etwas nicht gut lief, die Verantwortung bei uns lag, das Problem zu fixen. Rückblickend weiß ich, dass ich als Geschäftsführer alleine einfach nicht wissen kann und bis heute nicht weiß, was für das Unternehmen das Beste ist. Mitarbeitende wissen das viel besser.

1.2 Grün: Die Organisation als Familie

Ich zweifelte an meiner Fähigkeit als Manager und Unternehmer. Es passte einfach nicht zu mir, wie ich dachte, Unternehmen führen zu müssen und ich war kurz davor, aufzugeben. Dieser Konflikt führte zu einer Talfahrt, die so tief ging, dass wir den Mitarbeiter*innen sogar die Schließung ankündigten.

Statt die Firma zu schließen, verkleinerten wir uns jedoch auf ein Team von vier. In dieser Größe waren wir agil, brauchten nicht viel Struktur und auch kein Management. Damit kamen wir gut durchs Tal und nach einiger Zeit ging es wieder bergauf.

Dieses Mal war alles anders. Da die Metapher der Maschine für uns nicht funktionierte, kehrten wir unbewusst zurück zum Familienmodell. Schließlich sind wir auch ein Familienunternehmen. Frederic Laloux beschreibt dies mit der grünen Stufe, die aus der postmodernen pluralistischen Weltsicht entsteht.

In dieser Weltsicht fühlte ich mich wesentlich wohler. Flache Hierarchien nahmen die Last von mir und das Vertrauen, das die Mitarbeitenden mir gegenüber schenkten, half mir, meine Selbstzweifel zu überwinden. Happiness war einer unserer Werte und das Wohl eines jeden im Team lag uns am Herzen.

1.3 Alte Probleme, neue Ideen

Wir wuchsen wieder und mit dem wachsenden Team kamen die alten Probleme zurück, die entstehen, wenn mehr als eine Handvoll Menschen zusammenkommen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Wir waren bald überlastet und die geschätzte Happiness drohte uns verloren zu gehen.

Ich verstand mich als Führungskraft in dieser Zeit als Dienstleister, dessen Aufgabe es war, dem Team zu dienen und dafür zu sorgen, dass alle ihre Arbeit ungehindert tun konnten. Das funktioniert, solange allen klar ist, was zu tun ist. Es fehlte jedoch an Orientierung und die antiautoritäre Haltung führte uns ins Chaos und bremste das Wachstum wieder. Uns war nicht klar, wer die Entscheidungen trifft, also wurden sie möglichst verschoben.

Die Suche nach Orientierung begann von Neuem. Nach monatelangen Wachstumsschmerzen endete die Suche schlagartig, als mir ein guter Freund das Buch "Reinventing Organizations" von Frederic Laloux empfahl. Ich hörte mir zunächst einen zweistündigen Vortrag zur Einführung an und war sofort begeistert.

Zum ersten Mal erfuhr ich von einer Art und Weise Unternehmen zu führen, die sich richtig anfühlte. So stellte ich mir Unternehmen vor und jemand hatte es geschafft, das auf verständliche Weise zu beschreiben und mit Beispielen von echten Organisationen zu belegen. Ich fühlte mich verstanden. Die Selbstzweifel waren ausgeräumt. Mut kam auf. Ich war fest entschlossen in diese Richtung zu gehen und erzählte meinem Bruder Claudius von meiner Vision. Einige Wochen später fand unser erstes Workcamp statt, bei dem wir das Team einweihten.

Es war nicht zuletzt der Pioniergeist, einer unserer Werte, der mich dazu bewegte, an der Art, wie wir zusammenarbeiten, etwas grundsätzlich zu verändern und mutige Schritte zu gehen, die noch unbekannt sind. Das Geschäftsmodell einer Agentur ist seit Jahrzehnten etabliert, daran ist nichts Neues zu finden. In der Art, wie wir zusammenarbeiten, können wir uns jedoch grundsätzlich von anderen Agenturen unterscheiden.

Die Stufe Teal entsteht aus einer integralen, evolutionären Weltsicht. Die Organisation wird als lebendiges System verstanden, das einen eigenen Willen hat und einen Zweck der Existenz zum Ausdruck bringen möchte. Als Teil der Organisation ist es meine Aufgabe, hinzuhören und herauszufiltern, was wir brauchen und wohin wir wollen.

Die Teal Organisation basiert auf drei richtungsweisenden Ideen:

1. Die Selbstführung: Wie können wir ohne eine klassische Top-Down-Hierachie wirkungsvoll arbeiten und unsere kollektive Intelligenz nutzen?

2. Die Suche nach Ganzheit: Wie können wir eine Kultur entwickeln, in der wir den gesamten Menschen inklusive seiner Bedürfnisse und Gefühle wertschätzen und die Weisheit, die daraus entsteht, im wirtschaftlichen Handeln integrieren?

3. Der evolutionäre Sinn: Wie schaffen wir ein Umfeld, in dem wir unseren Zweck der Existenz zum Ausdruck bringen können?

In den folgenden drei Teilen werde ich beschreiben, wie wir uns in jedem dieser Bereiche in den letzten zwei Jahren seit der Wendung in Richtung Teal entwickelt haben, was wir unterwegs gelernt haben und wo wir uns in Zukunft sehen.

Hier geht's zu Teil 2.

Wenn Dich dieser Artikel interessiert hat, dann schau doch mal auf dem englischsprachigen Blog tealminded.com von Daniel Heitz vorbei! Dort findest Du diesen und weitere Artikel zum Thema Teal Management und Teal Organization.


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